
Auszug aus einem kritischen Vortrag
in Abgrenzung zur typischen verhaltenstherapeutischen Symptomtherapie
„Lassen wir uns auf die beschriebene kausal-analytische Arbeit ein, so werden wir bei einiger Übung in den meisten Fällen feststellen, dass die Symptomblüte auf einem fruchtbaren Problemfeld wächst und sich nicht „aus heiterem Himmel“, sondern allenfalls aus „anhaltendem Tief“ ereignet.
Häufig erkennen wir, dass sich Symptome gerade dann aufbauen, wenn die Schere zwischen den tieferliegenden Bedürfnissen, Sehnsüchten, eigentlichen Lebensvorstellungen der Person und ihrer tatsächlich gelebten Lebenspraxis so stark auseinandergeht, dass ein Krisenpunkt erreicht ist.
Dieses Auseinanderklaffen eines bedürfnis-entsprechenden Lebens, das mit Zufriedenheit und Wohlbefinden einherginge und dem konkret geführten Leben des Patienten, das durch Zwangslagen, Inkonsequenzen und Vermeidungen schließlich unveränderbar erscheint, möchte ich als ‘Festgefahren in einer psychologischen Sackgasse‘ bezeichnen. Dies ist natürlich nur eine Möglichkeit von „Grundsatzproblematiken“, die Symptome hervorbringen.
Die Patienten kennen häufig ihr hintergründiges Problem nicht, haben manchmal allenfalls vage „Verdachtsgründe“, und nicht selten haben sie Angst, mit ihrer etablierten problematischen Wirklichkeit konfrontiert zu werden, die aufgrund von Verstrickungen nicht nur ihnen, sondern auch dem Therapeuten zunächst unveränderbar erscheinen kann.
Lässt sich der Therapeut – manchmal erst nach behutsamer Überwindung von Widerstand und Abwehr des Patienten – auf diese sensible Hintergrundsanalyse (nicht nur rational, sondern auch emotional) ein, versucht er also mitzuempfinden, dann begreift er die „objektive“ Hilflosigkeit des Patienten, die eine Symptomatik dann als Schutz bzw. Kompensation (zum Beispiel bei Zwangsneurosen) oder als nicht abfließbaren Erregungsüberschuss (zum Beispiel bei psycho-physiolo-gischen Störungen) verstehen läßt.
Dieses Nachempfinden der tatsächlichen Hilflosigkeit lässt ihn sich mit d. Patienten solidarisieren, denn auch er hat zunächst keine besseren Lösungen. Sein grundsätzlicher Vorteil bei der Lösungssuche ist aber, dass er nicht im psychologischen und sozialen System des Patienten „verhaftet“ ist und aus dieser Distanz und seiner professionalisierten Kreativität tatsächlich Auswege aus einem scheinbar unentrinnbaren Zustand findet.
Von daher ist berufliche Psychotherapie nicht nur gerechtfertigt und nicht ersetzbar, sondern für viele Patienten die einzige Chance, weiterzukommen und Blockierungen zu überwinden, wollen wir nicht auf die schicksals- und zufallsabhängigen „Spontanremissionen“ vertrauen.
Nebenbei möchte ich die nur auf den Vordergrund bezogenen „Symptomtherapeuten“ auf die sich hieraus ergebende therapeutische Verantwortung aufmerksam machen: Sie müssen sich schon fragen lassen, ob Sie dem Patienten, wenn Sie sich primär auf Reduzierung seiner Symptomatik konzentrieren, nicht an einer für ihn sehr wichtigen (Weichen- )Stelle in seinem Leben einen „Bärendienst“ erweisen.
Der symptomfixierte Patient merkt und weiß dies nicht, die oberflächen-orientierte Leistungsgesellschaft begrüßt Ihre durchstrukturierten Manuale und Programme – aber vielleicht gibt es ja auch noch so etwas wie ein Berufsethos und eine Berufsmoral.“